UKRAINE-KONFLIKT: ANTON HOFREITER ATTACKIERT AFD UND BSW ALS KRIEGSTREIBER

Der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter hat die Ukraine besucht. Im SPIEGEL-Interview fordert er die Bundesregierung auf, in der Unterstützung Kiews nicht nachzulassen. Zwei Parteien greift er scharf an.

SPIEGEL: Herr Hofreiter, Sie waren diese Woche erneut in Kiew, zusammen mit einer polnischen Parlamentskollegin. Was ist Ihr Eindruck von der Situation in der Ukraine?

Hofreiter: Die aktuelle Lage ist insbesondere für die Zivilbevölkerung so schlimm wie seit Langem nicht mehr. Und sie droht, noch schlimmer zu werden. Seit Kriegsbeginn hat Russland systematisch in großem Umfang die zivile Infrastruktur zerstört, angefangen von Krankenhäusern über die Energieversorgung bis zu Wasserwerken. Die Angriffe werden brutaler und richten sich nochmals stärker gegen die Zivilbevölkerung. Wir haben das gleich bei unserer Ankunft gemerkt, da gab es in Kiew Luftalarm, und wir wurden gebeten, direkt nach der Ankunft in den Bunker zu gehen.

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SPIEGEL: In dem Moment, in dem wir hier sprechen, treffen sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Frankfurt am Main, auch wird im hessischen Ramstein in der internationalen Ukraine-Kontaktgruppe erneut über weitere Waffenlieferungen gesprochen. Sie haben den Kanzler in der Vergangenheit wegen seiner Zögerlichkeit in Sachen deutscher Lieferungen wiederholt kritisiert. Wie blicken Sie jetzt auf ihn?

Hofreiter: Deutschland ist inzwischen einer der stärksten Unterstützter, auch militärisch, um mögliche Verhandlungen der Ukraine für ein Ende des Krieges zu erreichen. Die Strategie des Kanzlers, die Ukraine so lange wie notwendig zu unterstützen, wird jedoch nicht erfolgreich sein. Wir müssen die Strategie umstellen: Alles, was notwendig ist, müssen wir sofort liefern, um möglichst schnell zu Verhandlungen zu kommen. Sonst tragen wir am Ende nur dazu bei, den Krieg zu verlängern.

SPIEGEL: Der Kanzler will nun zwölf weitere Panzerhaubitzen liefern. Was sollte Deutschland zusätzlich noch tun?

Hofreiter: Angesichts der kontinuierlichen terroristischen Angriffe Russlands ist es dringend notwendig, der Ukraine mehr Möglichkeiten zur Abwehr von Raketen, von Marschflugkörpern, von Drohnen zu geben. Sie braucht neben mehr Mitteln zur Flugabwehr auch weitreichende Waffen, um die Abschusspunkte für Raketenangriffe in Russland zu zerstören. Gegen manche Angriffswaffen, wie zum Beispiel Gleitbomben, gibt es keine andere Möglichkeit als die, das transportierende Flugzeug bereits auf einem Militärflughafen zu zerstören.

SPIEGEL: Sie wollen also die roten Linien für den Einsatz weitreichender westlicher Waffen aufgeben?

Hofreiter: Gelieferte Waffen sind ukrainische Waffen. Diese roten Linien kosten am Ende Zivilisten das Leben.

SPIEGEL: Im Haushaltsentwurf für 2025 ist geplant, dass nur noch bezahlte Waffenlieferungen an die Ukraine übergeben werden sollen. Künftig sollen Waffenlieferungen mit den Zinserträgen aus eingefrorenen russischen Mitteln bezahlt werden, diese Umsetzung durch die G7-Staaten steht aber bislang noch aus. Sollte das Parlament bei den Beratungen zum Haushalt daran etwas ändern?

Hofreiter: Ja, unbedingt. Die Summe muss deutlich erhöht werden. Im ursprünglichen Etatentwurf für 2024 waren zusätzliche vier Milliarden für militärische Hilfe an die Ukraine enthalten. Das ist die Zielrichtung, in die es gehen muss. Wenn man die oftmals notdürftig wiederhergerichteten Kraftwerke, Umspannwerke nicht ausreichend schützen kann, dann sind auch unsere Mittel für den zivilen Wiederaufbau der Ukraine wertlos. Damit das Land, das zivile Leben, die Wirtschaft halbwegs weiter funktionieren können, braucht es ausreichend Flugabwehr.

SPIEGEL: Die Ukraine hat vor einigen Wochen eine Offensive in der Region Kursk auf russischem Gebiet begonnen. Sie ist zugleich unter Druck im Südosten des Landes, in der Donbass-Region. Überreizt Kiew gerade seine militärischen Fähigkeiten?

Hofreiter: Ich hoffe nicht. Die Offensive in Kursk hatte eine stark motivierende Wirkung auf die Armee. Sie hat außerdem gezeigt, dass die Auffassung, es gäbe für Russland rote Linien, obsolet ist. Die Debatten über rote Linien sind im Grunde nur dazu da, uns Angst zu machen.

SPIEGEL: Haben da manche in der Koalition, insbesondere in der SPD, einen Lernprozess erfahren?

Hofreiter: Das hoffe ich sehr. Das Beharren auf den sogenannten roten Linien bringt die Ukraine den Verhandlungen und dem Frieden nicht näher, sondern ermutigt Putin, den Krieg auszuweiten. Die Kursker Offensive zeigt doch anschaulich, dass diese roten Linien auch für Putin gar nicht existent sind. Nur wenn der Westen deutlich macht, dass die Unterstützung der Ukraine verlässlich und ausreichend ist, wird der Krieg verkürzt. Dann ist Putin auch bereit zu ernsthaften Friedensverhandlungen. Alles andere zieht den Krieg nur in die Länge.

SPIEGEL: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat nach den Wahlniederlagen der SPD in Thüringen und Sachsen der Bundesregierung geraten, sich mit Frankreich für realistische Verhandlungen zur Beendigung dieses Krieges einzusetzen.

Hofreiter: Herr Schröder ist seit Langem als Helfershelfer von Putin bekannt. Er und andere, die so argumentieren, ignorieren schlichtweg den Fakt, dass Putin kein Interesse an diesen Verhandlungen hat. Er wartet ab, dass die Hilfe des Westens nachlässt, dass der Ukraine die Munition ausgeht. Warum also sollte Putin verhandeln, wenn er glaubt, auf militärischem Wege alles zu erreichen?

SPIEGEL: AfD und BSW, die Partei von Sahra Wagenknecht, haben mit ihren Forderungen nach Frieden und einem Ende der Waffenlieferungen an Kiew Erfolg bei den Menschen. Gibt Ihnen das zu denken?

Hofreiter: Die AfD und das BSW sind in dieser Auseinandersetzung in Deutschland die wahren Kriegstreiber, weil sie mit ihrer Unterstützung für Putin – aus Naivität, aus Absicht, aus Zynismus – politische Propaganda für Russlands Regime betreiben. Ihre Strategie ermutigt Putin und das russische Regime geradezu, den Krieg auszuweiten und fortzusetzen.

SPIEGEL: Der Krieg ist aber gerade in der ostdeutschen Bevölkerung ein großes Thema. Laut einer ARD-Umfrage finden es 55 Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen gut, dass das BSW gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ist, in Thüringen sogar 60 Prozent. Hat die Haltung für Waffenlieferungen nicht vielmehr den Grünen im Osten geschadet?

Hofreiter: Natürlich waren das schwere Niederlagen für uns, vor allem in Thüringen, wo wir nicht wieder ins Parlament gekommen sind. Aber ich glaube, unser Kurs an der Seite der Ukraine hat uns bei jenen Menschen, die prinzipiell bereit sind, Grüne zu wählen, nicht geschadet, sondern am Ende sogar genutzt. Mit unserer Unterstützung der Waffenlieferungen haben wir fast ein Alleinstellungsmerkmal im Osten. Auch die Union ist, gerade in Sachsen, in ihrer Haltung unklar, ob sie weiterhin zur Unterstützung der Ukraine bereit ist und ob sie noch zur Westbindung steht.

SPIEGEL: Sie persönlich werden also nicht leiser werden?

Hofreiter: Wir Grüne werden uns nicht davon abhalten lassen, das Richtige zu sagen und zu tun. Es geht hier schließlich um die Sicherheit in Europa, um unsere Sicherheit.

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