SPANIEN: WARTEN AUF SáNCHEZ

Nach Korruptionsvorwürfen gegen seine Frau zog sich Spaniens Regierungschef fünf Tage zurück, um zu überlegen, ob er sein Amt fortführen oder abtreten wird. Seine Entscheidung ist für diesen Montag angekündigt.

Warten auf Sánchez

Bleibt er oder geht er? Das ist die Frage, die Spanien an diesem Wochenende intensiv beschäftigt hat. Wetten wurden abgeschlossen, Spekulationen ausgebreitet und teils heftig protestiert und demonstriert. Nur eines blieb unklar: Welche Entscheidung Premierminister Pedro Sánchez mitteilen wird. Am vergangenen Mittwochabend hatte er in einem Brief an die Bevölkerung wissen lassen, dass er seine Demission erwäge und über das Wochenende Bedenkzeit angekündigt.

Der ungewöhnliche, persönlich gehaltene Brief, den Sánchez über die Plattform X teilte, hat das Land gespalten. Die einen sehen den Auslöser für Sánchez Frustration - ein Gerichtsverfahren infolge einer Anzeige einer rechten Lobbygruppe gegen Begoña Gómez, die Ehefrau von Sánchez - als billigen, haltlosen Angriff an. Die anderen halten die Vorwürfe für die Spitze eines Eisbergs.

Tatsächlich fehlt ein schlagender Beweis für ein mögliches Fehlverhalten von Sánchez' Ehefrau. Die schiere Zahl der teils spekulativen Andeutungen von Fehlern von Gómez und ihrer Beratungsgesellschaft lässt eher am Gewicht der einzelnen Anwürfe zweifeln. So wird Begoña Gómez und ihrer Firma vorgehalten, für Beratungsleistungen ein Jahreshonorar von 40 000 Euro von der Globalia Gruppe bekommen zu haben, zu der die Fluggesellschaft Air Europa gehört. Und zwar, während die Regierung unter Führung ihres Mannes die Airline mit mehr als 600 Millionen Euro vor der Corona-Pleite rettete.

Übergangen wird dabei, dass der Globalia-Vertrag bereits im Januar 2020 geschlossen wurde, als die Corona-Pandemie noch kaum eine Rolle spielte und Subventionen für die Privatwirtschaft kein Teil der politischen Agenda waren. Zudem räumte die Lobbygruppe "Manos Limpias" ein, ihre Anzeige basiere auf Medienberichten.

Konservative und Rechte werfen ihm vor, das Land in "Geiselhaft" zu nehmen

Während Premier Sánchez sich am Wochenende wie angekündigt in Schweigen hüllte - unerreichbar sei er gewesen, berichtete ein Koalitionspartner der Online-Zeitung El Confidencial - äußerten sich Gegner und Unterstützer umso lautstärker in spanischen Medien. Konservative und Rechte warfen Sánchez vor, mit seiner fünftägigen Pause das Land in "Geiselhaft" zu nehmen. Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo forderte ihn auf, die "Nabelschau" zu beenden, Sánchez sei vom ersten Tag an "kein dem Land würdiger Regierungschef" gewesen. Santiago Abascal, Anführer der ultrarechten Partei Vox warf dem Sozialistenchef vor, sich in eine Opferrolle zu flüchten.

Dem standen mehr als 10 000 Menschen entgegen, die am Samstagvormittag die Straßen rund um das Hauptquartier der Sozialistischen Partei PSOE in der Madrider Calle de Ferraz füllten. "Quédate!", "Bleib" skandierte die Menge, und "no pasarán", "sie werden nicht durchkommen", was im Bürgerkrieg der Kampfruf gegen die Faschisten war.

Das Jahrestreffen der Sozialisten gerät zur Pro-Sánchez-Demonstration

Im Inneren der Parteizentrale war der gut 250-köpfige Parteirat der Sozialisten zum Jahrestreffen zusammengekommen, beziehungsweise das, was normalerweise das Jahrestreffen gewesen wäre. Denn die Tagung geriet in Abwesenheit von Sánchez zur Pro-Sánchez-Demonstration. Fast das gesamte Führungspersonal der PSOE sowie deren Ministerinnen und Minister suchten nach ihren Redebeiträgen das Bad in der Menge ihrer Anhängerschaft.

Insbesondere die erste Stellvertreterin von Sánchez, Finanzministerin Maria Jesús Montero, ermunterte den Premier in einer kämpferischen, per Stream übertragenen Rede, im Amt zu bleiben. An seine Ehefrau gewandt rief sie unter tosendem Applaus der Delegierten: "Begoña, Genossin, wir stehen zu dir!"

Monteros Unterstützung für den zurückgezogenen Regierungschef war nicht ohne Symbolwirkung, denn sie wäre seine natürliche Nachfolgerin, sollte der seit 2018 regierende Sánchez am heutigen Montag zurücktreten. Für diesen Fall gäbe es zwei Szenarien: Montero führt die Regierungsgeschäfte kommissarisch, bis das Parlament aufgelöst (was frühestens Ende Mai möglich ist) und im Sommer neu gewählt wird. Oder Montero überzeugt König Felipe VI., sie dem jetzigen Parlament als neue Regierungschefin für die restlichen drei Jahre dieser Legislaturperiode vorzuschlagen. Der Kongress müsste dann über sie abstimmen, so wie dies mit dem Kandidaten Pedro Sánchez im November der Fall gewesen war.

Frustration über die brüchige Vielparteien-Koalition im Kongress

Sollte Montero jedoch das Amt mit unveränderten Mehrheitsverhältnissen antreten, würde sie den Berg an Scherereien erben, den die brüchige Vielparteien-Koalition im Kongress mit sich bringt und der zweifellos zu Sánchez' Frustration beigetragen hat. Vier separatistische Parteien aus Katalonien und dem Baskenland müssen gewogen gestimmt werden, ebenso wie eine Querulanten-Gruppe linker Podemos-Abgeordneter. Hinzu kommt eine Opposition, die einen Großteil ihrer Daseinsberechtigung darin sieht, auf den politischen Gegner einzuhacken, statt mit Sachpolitik zu punkten.

Denkbar sind jedoch weitere Szenarien: Sánchez meldet sich kämpferischer denn je zurück und stellt sich weiterhin an die Spitze seiner links-sozialistischen Regierung. Oder die Partei vertraut jemand anderem als Montero die Nachfolge an. Eine mögliche Kandidatin wäre die bisherige Erziehungsministerin und Regierungssprecherin Pilar Alegría.

Für Sonntagabend hatten mehrere Zivilorganisationen zu einer Kundgebung nahe dem Madrider Hauptbahnhof aufgerufen. Unter dem Motto "Aus Liebe zur Demokratie" wollte man den Angriffen der Rechten entgegentreten. Auch wichtige Akteure der Kulturwelt haben sich hinter Sánchez gestellt. Wie die Zeitung ABC berichtet, wollte der Direktor des Cervantes-Instituts, Luis García Montero, bei der Versammlung im Namen der Kulturschaffenden dazu aufrufen, den "demokratischen Anstand" zu verteidigen. Den Ersten Mai wollen Gewerkschaften für einen "Aufschrei" für mehr demokratische Rechte nutzen.

Ihre Chance auf weitere Fortschritte in Richtung Kataloniens Unabhängigkeit wollen auch die Führer der Separatisten-Parteien wahren: Pere Aragonès, der amtierende Ministerpräsident Kataloniens, warnte Sánchez vor Journalisten - ein Rückzug würde "der extremen Rechte in die Hände spielen". Carles Puigdemont, Chef der Partei Junts per Catalunya, ließ durchblicken, dass er Sánchez weiter unterstütze, sofern dieser bereit sei, mit Katalonien "ein historisches Abkommen zu erreichen".

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