BAERBOCK IM NAHEN OSTEN: ZUM ELFTEN MAL IN ELF MONATEN

Außenministerin Baerbock versucht im Nahen Osten wieder, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Doch was will Israels Regierung?

Zum elften Mal in elf Monaten

Israels Regierung hat offenkundig verfolgt, was Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf ihrer Nahost-Reise gesagt hat, bevor sie Donnerstagabend in Tel Aviv eintrifft. Jedenfalls bringt ihr Kollege Israel Katz Freitagmorgen ein Bild von Irans Oberstem Führer mit. Das Westjordanland müsse in gleicher Weise bewaffnet werden wie Gaza, ist darauf zu lesen – ein Zitat von Ayatollah Ali Chamenei.

Iran ist der wichtigste Unterstützer der radikalislamischen Hamas, die Israel am 7. Oktober aus dem Gazastreifen heraus mit beispiellosem Terror angegriffen hat. Israel sieht Anzeichen dafür, dass das Regime der Islamischen Republik versucht, auch das Westjordanland mit Geld und Waffen zu fluten, den Konflikt dorthin zu tragen. Dagegen ging die Armee bis Freitag mit dem größten Einsatz seit 20 Jahren vor, so stellt es zumindest die Regierung dar.

Der jordanische Außenminister ist am Ende seiner Geduld

Baerbock hatte tags zuvor in Jordanien an der Seite ihres Kollegen Aiman al-Safadi die Militäroperation scharf kritisiert. Sie bekräftigte zwar, Israel habe das „Recht und die Pflicht, gegen alle Gewalttäter und Terrorakte vorzugehen“, also auch gegen Kämpfer und Selbstmordattentäter von Hamas und Islamischer Dschihad in Dschenin oder Tulkarem. Allerdings „bekämpft man Terror nicht, indem man Straßen aufreißt, Wasserleitung und Stromnetze zerstört oder die Zufahrten zu Krankenhäusern blockiert“.

Es ist Baerbocks elfte Reise in die Region in den elf Monaten seit dem Angriff der Hamas, ihr neunter Besuch in Israel. „Wer den Nahen Osten kennt, weiß, dass Fortschritte sich hier in Millimetern bemessen“, hat Baerbock dem Spiegel gerade gesagt. Allerdings stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch Fortschritte gibt hin zu einer politischen Lösung des Konflikts, zu dauerhaftem Frieden – oder Rückschritte.

In Jordanien ist der Außenminister mit der Geduld am Ende. Israel habe eine zweite Front in seiner Aggression gegen die Palästinenser eröffnet, schimpft Safadi, sonst nicht der Typ Bulldozerdiplomat. Kein Wort dagegen über die sechs von der Hamas ermordeten Geiseln oder die Angriffe der Hisbollah auf Israels Norden. Wenn Deutschland zum internationalen Recht stehe und sein Ansehen in der Region wahren wolle, müsse es Sanktionen verhängen gegen Israel, verlangt er.

Dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu wirft Safadi vor, er folge einer Ideologie der Rache: 40 000 Tote in Gaza, das mache doch klar, dass er auf niemanden höre, nicht auf den UN-Sicherheitsrat, nicht auf den Internationalen Gerichtshof und auch nicht auf seine Freunde im Westen. Es ist eine Analyse, die Baerbock so ähnlich am Morgen in Riad schon von Saudi-Arabiens Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al-Saud gehört hat. Selbst US-Präsident Joe Biden hat die Frage, ob Netanjahu genug tue, um zu einem Geiseldeal und einer Waffenruhe in Gaza zu kommen, mit einem knappen Nein beantwortet.

Saudi-Arabien hält noch daran fest, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren

In den arabischen Staaten erkennen zumindest die Regierungen bisher Deutschlands Vermittlerrolle an, Baerbocks Versuch, immer beide Seiten zu sehen. Sie wissen, dass die Bundesregierung mehr tut als die meisten anderen Länder bei der humanitären Hilfe für die Palästinenser. Inzwischen schwingt aber in Amman der Vorwurf einer allzu einseitigen Unterstützung mit. Baerbock hält dem entgegen, Deutschland sei der Sicherheit des Staates Israel und seiner Menschen verpflichtet, nicht Netanjahus Regierung.

Saudi-Arabien, die arabische Führungsmacht, hält noch am Bestreben fest, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren. Jordanien droht inzwischen indirekt, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen. Überall aber ist klar, dass für jede Stabilisierung der Region eine konkrete und mit einem Zeitplan hinterlegte Perspektive auf einen palästinensischen Staat Voraussetzung ist.

Baerbock nimmt diese Botschaften mit nach Tel Aviv: „Es irritiert mich, wenn Mitglieder der israelischen Regierung fordern, im Westjordanland so vorzugehen wie in Gaza“, sagt sie. Solche Äußerungen gefährdeten die Sicherheit Israels und die Unterstützung von Partnern aus der Region – Saudi-Arabien und Jordanien waren Israel bei dem Raketenangriff der iranischen Revolutionsgarden Mitte April mit ihrer Flugabwehr beigesprungen.

Vor allem aber braucht es die arabischen Staaten, wenn die gemeinsam von fünf westlichen und fünf arabischen Staaten entwickelten Pläne für einen dauerhaften Frieden wahr werden sollen. Der erste Schritt dahin wäre eine Umsetzung des Biden-Plans. Die Verhandlungen über die Freilassung der verbliebenen 101 Geiseln der Hamas und eine Waffenruhe im Gazastreifen aber kommen nicht ins Ziel. US-Diplomaten sagten, 14 der 18 Punkte seien seit Monaten faktisch ausgehandelt, 90 Prozent des Textes von beiden Seiten akzeptiert. Außenminister Antony Blinken hat die Hamas und Netanjahu aufgefordert, nun die Lücken zu schließen. Die Aussichten sind nicht gut, und dafür machen die arabischen Staaten Netanjahu verantwortlich.

Verteidigungsminister Gallant empfängt Baerbock zum vertraulichen Gespräch

Umstritten ist die Präsenz israelischer Truppen in einem schmalen, 14 Kilometer langen Streifen an der südlichen Grenze des Gazastreifens zu Ägypten, dem sogenannten Philadelphi-Korridor. Im Abkommen, das die USA mithilfe Ägyptens und Katars verhandeln, findet sich dazu kein Wort. Es sieht aber den Rückzug Israels aus dicht besiedelten Gebieten vor. Die Hamas fordert, Israel müsse aus dem Korridor abrücken. Er führt durch die Grenzstadt Rafah, mithin besiedeltes Gebiet. Netanjahu lehnt das ab, dort befänden sich die Tunnel, durch die Waffen für die Hamas geschmuggelt worden seien.

Allerdings hat sich Israels Verteidigungsminister Joav Galant in dieser Frage offen gegen seinen Premier gestellt – es liegt schon ein Signal darin, dass er Baerbock zu einem vertraulichen Gespräch empfängt. Die Außenministerin hatte zuvor schon das Angebot der EU bekräftigt, die Grenzkontrollen in Rafah zu übernehmen, wie schon von 2005 bis zur Machtergreifung der Hamas 2007 – allerdings dürfte das Netanjahu kaum reichen und auch nur nach einem Ende der Kämpfe realistisch sein.

Mit der Ermordung der Geiseln durch die Hamas sind zudem die geheimen Listen hinfällig, welche palästinensischen Häftlinge Israel im Gegenzug für jede Geisel freilassen muss, unter ihnen zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder und Terroristen. Diplomaten befürchten zudem, dass nur mehr etwa die Hälfte der Geiseln am Leben sei.

US-Diplomaten vermuten, dass Netanjahu den Ausgang der US-Wahl abwarten will

Ihre Leben aber, appelliert Baerbock in Tel Aviv an die Regierung, seien „einen hohen Preis wert“. Eine niedrige zweistellige Zahl der Geiseln besitzt auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ministerin hat sich wieder mit den Angehörigen getroffen. Militäroperationen zur Befreiung seien die größte Bedrohung für deren Leben, sagen sie.

Die Geiseln zu retten, das ist Antrieb, weiterzumachen mit der Pendeldiplomatie, sagt Baerbock. Die internationale Gemeinschaft habe auch immer wieder Verbesserungen bei der Versorgung der Menschen in Gaza erreicht oder zuletzt die Polio-Impfkampagne, auch wenn das alles nicht reiche. Dutzende Telefonate und Reisen dürften auch dazu beigetragen haben, dass die befürchtete Eskalation zu einem großen Regionalkrieg bislang nicht eingetreten ist – die Bemühungen sind nicht sinnlos, nicht ohne Wirkung, das ist Baerbocks Botschaft.

Auch den großen Wurf, eine dauerhafte Friedenslösung, den Geiseldeal hat die Bundesaußenministerin nicht aufgegeben. Die internationale Konstellation war wohl seit Jahrzehnten nicht günstiger, die Bereitschaft der arabischen Staaten, Israel in die Region zu integrieren. Der Hamas kann daran nicht gelegen sein.

US-Diplomaten vermuten indes, dass auch Netanjahu so schnell nicht einlenken wird, sondern den Ausgang der Präsidentenwahl abwarten will. Sollte Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehren, könnten alle diplomatischen Pläne der vergangenen Monate hinfällig sein. Wenn nicht vorher schon die ganze Region in einen Krieg gerissen wird.

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