DER IRRTUM VOM ENDE DER FRISCHETHEKE

Die Personalnot an den Bedientheken der Lebensmittelhändler ist groß. Branchenriese Edeka kündigt daher Einschränkungen an: In vielen Märkten werden die Fleisch- und Wursttheken auf Selbstbedienung umgebaut – zumindest zeitweise.

Theke it easy – so lautet der Slogan einer Digitalkampagne von Edeka mit kleinen Filmchen in den sozialen Medien und auf Streaming-Plattformen. Eine junge Frau läuft darin zielstrebig durch einen Supermarktgang, schnurstracks auf dem Weg zur Frischetheke. „Du kennst ein Stück Wurst nicht beim Namen“, fragt dabei eine tiefe Männerstimme. „Dann zeigst Du an der Theke einfach drauf. Denn hier heißt es nicht fressen oder gefressen werden, hier heißt es einfach nur genießen.“

Mit der Kampagne aus dem Frühjahr will Edeka jüngere Käufergruppen ansprechen und ihnen Berührungsängste nehmen, heißt es in der dazugehörigen Meldung von Deutschlands größter Supermarktkette. Denn oftmals seien die noch unsicher im Umgang mit den Bedientheken.

Die aber seien das „Herzstück bei Edeka, wenn es um Qualität, Vielfalt und persönliche Beratung geht“. Nur gut vier Monate nach dem Start von „Theke it easy“ rückt dieses Herzstück nun auf ganz andere Weise in den Mittelpunkt: Edeka nimmt Einschränkungen bei seinen Frischetheken vor.

In etlichen Regionen sollen die Tresen künftig nicht mehr während der gesamten Öffnungszeiten besetzt sein, meldet die „Lebensmittel-Zeitung“. Betroffen sind die Edeka-Landesgesellschaften Südwest, Nordbayern-Sachsen-Thüringen, Südbayern, Nord und Minden-Hannover.

In den dortigen Märkten können künftig sogenannte Hybrid-Theken zum Einsatz kommen, die kurzerhand mit wenigen Handgriffen zur Selbstbedienungszone umgebaut werden können und dort vom Personal vorverpackte Waren anbieten. Damit funktioniere der Frische-Bereich in den Randzeiten dann auch ohne Personal.

Hauptgrund für diese Notwendigkeit ist der zunehmende Personalmangel. „Vor allem für die Fleischtheken finden die Lebensmittelhändler nicht mehr genug Mitarbeiter“, sagt Michael Gerling, der Geschäftsführer des EHI Retail Institute, das Forschungs- und Bildungsinstitut für den Handel in Deutschland, gegenüber WELT. Das betreffe sowohl das Verkaufspersonal als auch die Fleischerei-Fachkräfte.

100 Euro Prämie für Fachkräftevermittlung

Und tatsächlich will kaum noch jemand Metzger werden in Deutschland. Gab es im Jahr 2000 noch 9.537 Auszubildende im Fleischerhandwerk in Deutschland, waren es 2023 nur noch 2.309, wie Zahlen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) zeigen. Der Blick der Branche richtet sich daher ins Ausland, wie Gerling berichtet.

Ins weit entfernte Ausland sogar. Im Landkreis Lörrach in Südbaden zum Beispiel absolvieren derzeit 19 Inder eine Ausbildung in Metzgereien, vor zwei Jahren waren es bereits 13. Aus Hamburg wiederum werden entsprechende Projekte mit Auszubildenden von den Philippinen gemeldet.

Die in Nordrhein-Westfalen beheimatete Supermarktkette Klaas+Kock bindet zudem die eigene Kundschaft ein und hat in der Vergangenheit schon den Lesern ihres Wochenprospekts einen Einkaufsgutschein im Wert von 100 Euro versprochen, wenn sie erfolgreich einen Mitarbeiter für die Fleischtheke vermitteln, der mindestens einen Monat beschäftigt bleibt.

Die erweiterte Personalsuche reicht nach Ansicht von Edeka Südwest aber auf lange Sicht nicht aus. Man müsse sich damit beschäftigen, wie die Handelsleistung der Supermärkte mit weniger Menschen umsetzbar ist, sagt Rainer Huber, der Chef der Edeka-Regionalgesellschaft Südwest, deren Absatzgebiet Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Südhessen und Teile Bayerns umfasst.

Er rechnet mit 20 Prozent weniger Personal und Arbeitsstunden. „Wir müssen bei den Bedienkonzepten in verschiedenen Richtungen nachschärfen, um auch mit reduzierter Mannschaft den Frische-Charakter und die Vielfalt gewährleisten zu können“, wird er in der „Lebensmittelzeitung“ zitiert. Bei Tests mit flexiblen Käsetheken habe Südwest sogar steigende Absätze und Umsätze gegenüber der klassischen Bedienung erzielt, so Huber.

Komplett aufgeben will er die Bedientheken indes nicht. Das macht auch die Edeka-Zentrale in Hamburg deutlich. „Frischetheken mit Bedienung für Fleisch, Wurst oder Käse sind und bleiben weiterhin ein wichtiges Element, mit dem sich die Edeka-Märkte im Wettbewerb differenzieren und profilieren. Sie stehen überhaupt nicht zur Diskussion“, sagt ein Sprecher auf Anfrage.

Aber natürlich gebe es auf regionaler und lokaler Ebene unterschiedliche Konzepte, wie man das Angebot der Frischetheken optimal an die jeweiligen Bedingungen und Kundenbedürfnisse ausrichten kann.

Ähnliche Aussagen kommen auch von Konkurrent Rewe. „Bedientheken haben bei uns weiterhin Zukunft“, versichert ein Konzernsprecher. In rund 2000 der bundesweit 3800 Rewe-Supermärkte gebe es Servicetheken für Fleisch, Wurst, Käse und gegebenenfalls Fisch als Ergänzung zum SB-Angebot.

„Sie sind – sofern Marktgröße, Sortimentsgestaltung und Nachfrage entsprechend gegeben sind – fester Konzeptbestandteil und ein wichtiger Baustein in der Wettbewerbsdifferenzierung.“ Und das auch mit umfangreichen Öffnungszeiten, wie der Sprecher betont. „Schließlich schätzen viele Kunden an der Theke vor allem die fachkundige Beratung, die individuelle Portionierung der Ware und in Eigenproduktion hergestellte Lebensmittel.“

Billig geht nicht an der Theke

Natürlich spüre auch Rewe den Fachkräftemangel. Die zunehmende Digitalisierung in den Märkten schaffe aber Spielräume, Mitarbeiter verstärkt in den serviceorientierten Tätigkeiten einzusetzen.

EHI-Experte Gerling wundern diese klaren Ansagen und Bekenntnisse nicht. „Bedientheken sind gesetzt in Supermärkten, auch in Zukunft“, sagt der Handelsforscher. Denn das sei das wichtigste Profilierungsinstrument gegenüber den Discountern. Gleichwohl müsse es zu Anpassungen und Konzeptänderungen kommen, seien es kürzere Öffnungszeiten des Frischebereichs oder kleinere Flächen und veränderte Sortimente.

„Personalmangel ist nur eins der Probleme“, begründet Gerling. Hinzu kämen auch allgemein rückläufige Umsätze an den Fleischtheken. „Die Konsumstimmung bleibt schlecht, die Verbraucher sparen und kaufen vor allem billig.“ Zwar sei die Inflationsrate zuletzt wieder auf ein Normalmaß gesunken. „Die deutlich höheren Preise aus dem vergangenen Jahr sind aber geblieben.“

Für die Bedientheken ist der Trend zu Billigprodukten aber ein großes Problem. „Das ist der teuerste und aufwändigste Bereich eines Supermarkts“, erklärt Gerling. Über 40 Prozent des Umsatzes werden dort von den Kosten aufgefressen, heißt es vom EHI.

Zum Vergleich: Die durchschnittliche Kostenquote für einen Supermarkt insgesamt liege bei 27 Prozent. Mit den 40 Prozent allgemeinen Kosten ist es allerdings nicht getan, beschreibt Gerling. Hinzu komme dann noch der Einkaufspreis für die Ware.

Die Produkte müssen also einen entsprechenden Preis haben, um profitabel verkauft werden zu können. Nur dann kann sich ein Supermarkt die Bedientheke leisten.“ Und das sei derzeit alles andere als selbstverständlich.

Für die Händler ist das ein Dilemma. Denn insbesondere für die selbstständigen Kaufleute sind die Verkäufe an den Theken wichtig für den Ertrag ihrer Läden.

Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.

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