STILKRITIK „LATEIN“: WENN DER BUNDESPRäSIDENT AUGUSTINUS ZITIERT

„Dilige et quod vis fac“ – diesen Satz schickte Frank-Walter Steinmeier Papst Leo XIV. im Glückwunschschreiben. Wirkt ein bisschen wie lateinisches Schülerstrebertum.

Wenn der Bundespräsident Augustinus zitiert

Gelegentlich macht bei Theologen der Begriff „Kanzelschwalben“  die Runde. Damit sind jene Gläubige gemeint, die eine besondere Nähe zum Wort Gottes und seinen Verkünderinnen und Verkündern suchen. Man muss sich das so vorstellen: Wer in der Kirche direkt an der Kanzel klebt, so glauben die Schwalben, der kriegt auch mehr göttliche Wärme ab. Am meisten wärmt laut ihrer Sicht der Papst. Nur, dass Papst Franziskus sie immer so kritisiert hatte, als „Schmeichler“ und „Höflinge“. Gemein.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das mit der Nähe gerade auch versucht. In seinem Glückwunschschreiben an Papst Leo XIV. zitierte er Kirchenlehrer Augustinus – auf Latein: „Dilige et quod vis fac“: Liebe, und was du willst, das tu! So ein typischer Augustinusspruch eben, den der neue Papst freilich kennt, er ist ja Mitglied im Augustinerorden. Wobei mit „Liebe“ hier natürlich die Liebe zu Gott gemeint ist, nicht die Liebe zu Geld, Macht, Autos oder so. Der Satz beschreibt also eher den späten Augustinus, denn in dessen Jugend, das kann man in seinen „Confessiones“  nachlesen, dachte der Kirchenlehrer noch eher Sachen wie „Da mihi castitatem et continentiam, sed noli modo“ (Schenke mir Keuschheit und Enthaltsamkeit – aber noch nicht jetzt). Das zitiert man besser nicht.

Jedenfalls hatte das Glückwunschschreiben dann doch etwas leicht Kanzelschwalbenartiges. Denn eigentlich dürfte Steinmeier als Evangelisch-Reformierter mit Augustinus gar nicht viel am Hut haben. Martin Luther ist einst sogar sehr bewusst aus dem Augustinerorden ausgetreten. Aber so ein bisschen göttliche Wärme, das wäre halt schon schön, wenn die auch auf Schloss Bellevue, den Hamburger Fischmarkt und die Golfklubs am Tegernsee abstrahlt, nicht? Und deshalb geht so ein bisschen lateinisches Schülerstrebertum schon voll in Ordnung.

2025-05-09T13:28:01Z