„MOSKAU RAUS!“, SCHALLT ES WAGENKNECHT IN MüNCHEN ENTGEGEN

Schlechte Umfragewerte und ein fehlendes Alleinstellungsmerkmal in der Migrationsdebatte: Nach anfänglichen Erfolgen schwächelt die Wagenknecht-Partei im Wahlkampf. In München versucht die Parteichefin es mit dem Klassiker und schimpft auf die Grünen. Ihre Rede kreuzt aber auch immer wieder Protest.

Sahra Wagenknecht hat es nicht leicht dieser Tage. „Lügen, Lügen, Lügen“, hallt es über den Marienplatz in der Münchner Innenstadt, als die Chefin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) am Montagabend dort den Wahlkampf ihrer Partei eröffnet.

„Aufrüstung, Aufrüstung und noch mehr Aufrüstung“, ruft Wagenknecht in die Kälte, vor allem darum gehe es in der aktuell herrschenden Politik. Die Welt stehe vielerorts in Flammen, die deutsche Wirtschaft sei in einem desaströsen Zustand. Doch anstatt diese Probleme zu lösen, so Wagenknecht, befinde sich das Land auf einem gefährlichen Weg in Richtung Krieg. „Das ist doch wirklich krank!“ Jubel und „Lüge“-Rufe vermischen sich.

Es ist eiskalt in der bayrischen Hauptstadt. Eine riesige Bühne hat das BSW vor das Neue Rathaus gestellt, wo die Flaggen Israels und der Ukraine gehisst sind. Gut 2000 BSW-Anhänger und Interessierte sind gekommen, dazu eine kleine, aber lautstarke Gruppe von Gegendemonstranten. „5. Kolonne Russlands“ hat ein Mann auf ein Pappschild geschrieben, daneben sind die Gesichter von Wagenknecht, Russlands Präsidenten Wladimir Putin und des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke zu sehen. Andere haben das Konterfei von Putin und Wagenknecht auf große Matroschka-Puppen gesetzt.

BSW-Wahlkampf startete mit Problemen

Die Wagenknecht-Partei startet an diesem Montagabend etwas verspätet in den Bundestagswahlkampf. Während die Kampagnen der von Wagenknecht geschmähten „alten Parteien“ schon seit Wochen laufen, knarzt es bei der jungen Partei noch. Kredite zur Wahlkampffinanzierung mussten aufgenommen, eine – wie gewohnt – auf die Namensgeberin zugeschnittene Kampagne entwickelt und in großer Eile ein Wahlprogramm geschrieben werden.

Das große Ziel – und Kern der Parteigründung – ist klar: Wagenknecht soll wieder in den Bundestag, und eine BSW-Fraktion gleich mit. Nur droht die Partei laut Wahlumfragen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern, während die totgesagte Linkspartei tatsächlich wieder im Aufwind ist.

Wagenknecht behauptete kürzlich im Gespräch mit dem „Spiegel“, dass mit den Umfragewerten etwas nicht stimmen könne – und ihrer Partei bewusst geschadet werde. Der Publizist und BSW-Bundestagskandidat Michael Lüders führt das am Montag in München aus: Gerade die Medien würden das BSW gezielt „kleinrechnen“ und es „kleinhalten“. „Es ist ein Hinweis darauf, dass offenbar diejenigen, die bisher die Strukturen in diesem Land maßgeblich geprägt haben, das BSW sehr, sehr ernst nehmen“, so Lüders, denn die Partei durchbreche die „Blasen-Wirklichkeit in Berlin“. Es brauche eine „Neuformatierung von Politik und Medien“ hin zu mehr Kompromiss und einer größeren Vielfalt an Meinungen.

Der Wahlkampf scheint mit der Debatte um eine Begrenzung der Migration sein Hauptthema gefunden zu haben. Während der Ukraine-Krieg – Wagenknechts Dauerbrenner – noch die Wahlkämpfe zu den ostdeutschen Landtagswahlen dominierten, fehlt dem BSW nun das Alleinstellungsmerkmal. Dem „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union stimmte man neben AfD und Teilen der FDP am Freitagnachmittag zu. Wagenknecht setzte noch eins drauf: Eine Volksabstimmung über eine Begrenzung der Zuwanderung brauche es. Das erhoffte Ergebnis kommunizierte sie gleich mit: Es müsse sehr viel weniger sein.

Die nach der Bundestagsabstimmung am Freitag so heftig geführte Debatte um eine Brandmauer lasse sie allerdings „ratlos“ zurück, sagt Wagenknecht in München. „Wir haben in Deutschland einen Kontrollverlust bei der Migration.“ Es gebe eine Überforderung auf dem Wohnungsmarkt, in den Schulen, dem Gesundheitswesen und den Sicherheitsbehörden. Solange man diese Probleme nicht löse, drohe die Stimmung immer weiter zu kippen, und damit „rechte Rattenfänger, die auf Rassismus setzen“ zu stärken. Dennoch werde nun vor allem diskutiert, ob mit der AfD gemeinsam abgestimmt werden dürfe. „Das ist doch krank, das ist doch einfach neben der Realität.“ Das BSW wirbt seit der Gründung damit, Anträge einzig nach dem Inhalt und nicht nach dem Stimmverhalten der AfD auszurichten.

Die Politik in Berlin allerdings verstehe nichts von den Problemen der einfachen Leute, meint Wagenknecht. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) etwa nennt sie den „Pleiteminister“. Die Partei werbe für einen achtsamen Umgang untereinander, hetzten aber „hunderten Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Wut im Netz zum Ausdruck bringen, mit Beleidigungsklagen die Polizei auf den Hals“. Mit Forderungen nach Aufrüstung und Waffenlieferungen handelten die Grünen gar „unmenschlich“ und „unehrlich“. Die BSW-Chefin empfiehlt dem grünen Mitbewerber entsprechend, nicht mehr mit dem Slogan „Zuversicht“ zu werben: „Sie sollten plakatieren ‚Schönfärberei‘ und ‚Realitätsverlust‘.“

Als Weg aus der Wirtschaftskrise wirbt Wagenknecht in gewohnter Manier für den Kauf von billigem Gas. Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland hält sie für falsch, diese hätten außerdem „nichts mit Menschenrechten, nichts mit Moral, nichts mit Demokratie“ zu tun. Sie seien vielmehr „ein Konjunkturprogramm für die US-Wirtschaft und ein Killerprogramm für unsere Unternehmen“. Die Gegendemonstranten antworten: „Moskau raus, Moskau raus!“ Russlands Krieg in der Ukraine sei zwar falsch, räumt die BSW-Vorsitzende ein. Doch schiebt gleich noch etwas hinterher: „Wer einen Krieg beginnt, der ist ein Verbrecher. Aber wer einen Krieg verlängert, wer einen Krieg weiterführt, wer Waffen in einen Krieg führt, den man beenden könnte, der ist auch ein Verbrecher.“

Wagenknecht wird in den drei Wochen bis zur Bundestagswahl durch die Republik ziehen. Nach München wird sie bis dahin wohl nicht mehr kommen. Wenn Kanzler Olaf Scholz (SPD), Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) und Habeck in knapp zwei Wochen zur Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) in Bayerns Landeshauptstadt sind, wird Wagenknecht fehlen. MSC-Konferenzleiter Christoph Heusgen lud ihre Partei wie auch die AfD aus. Sie stünden nicht für Dialog, schließlich boykottierten beide den Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag. „Ich finde es wirklich eine Ehre, dass das BSW bei diesem Treffen der Sofakrieger und Waffenlobbyisten nicht eingeladen wurde“, kontert Wagenknecht unter Applaus ihrer Anhänger.

Die nächsten Wahlkampftermine finden in beheizten Hallen statt. Denn noch während Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine von der Bühne winken, beginnt sich der Marienplatz rasch zu leeren.

Politikredakteur Kevin Culina ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Linkspartei.

2025-02-03T20:55:07Z