Soziale Netzwerke werden mit Beiträgen zu dem Gewaltverbrechen an Luise aus Freudenberg geflutet. Kriminalbeamte vergleichen die Aktivitäten mit einer Hexenjagd.
Frankfurt/Freudenberg – Der gewaltsame Tod von Luise (12) aus Freudenberg (Nordrhein-Westfalen) sorgt für großes Entsetzen. Bei den mutmaßlichen Täterinnen handelt es sich um zwei Mädchen, die selbst erst 12 und 13 sind. Aufgrund ihres jungen Alters sind sie noch nicht strafmündig und können vor Gericht nicht angeklagt werden – dass sie dies jedoch nicht vor Verurteilung und Hass schützt, haben die vergangenen Tage deutlich gemacht.
In den sozialen Medien verbreiteten sich innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Informationen über die mutmaßlichen Täterinnen. Vor allem auf der Plattform TikTok teilten User Namen und Fotos, die zu den Mädchen gehören sollen. Auch Texte, die den mutmaßlichen Täterinnen drohen, überschwemmen nach wie vor die Plattform.
Es scheint ein enormes Informationsbedürfnis zu dem Fall zu geben – insbesondere auch unter jungen Menschen und Kindern. „Viele suchen nach dem Namen, dem Fall, wollen mehr darüber herausfinden. Gerade junge Menschen, die auf TikTok aktiv sind, teilen Informationen, kommentieren das Geschehen“, erklärt Deborah Woldemichael, Leiterin der EU-Initiative klicksafe.de gegenüber dem SWR. Infolgedessen sei TikTok gerade voll von Beiträgen zum Fall der erstochenen Luise aus Freudenberg – darunter auch zahlreiche Falschmeldungen.
Foto © AndreasxBuck/imago
Dass der Todesfall Emotionen, Wut und Trauer auslöst, steht außer Frage. Genauso verständlich ist es, dass Gerechtigkeit gefordert wird und es für viele unverständlich erscheint, dass die Mädchen keine Bestrafung im klassischen Sinne erhalten. Trotzdem handelt es sich bei den mutmaßlichen Täterinnen um Kinder.
„Kinder sind in der Entwicklung. Und auch bei Kindern, die auch über 14 Jahre alt sind, steht nicht die Bestrafung im Vordergrund, sondern die Erziehung“, erklärte Kriminalpsychologe Rudolf Egg im WDR-Interview. Dies gelte auch für Kinder, die eine so schwere Straftat begangen haben, wie im Fall der getöteten Luise. Es stehe an erster Stelle, den Kindern zu helfen, um ihre Entwicklung nicht weiter zu gefährden. Denn sie stünden am Anfang ihres Lebens und da „kann man sie nicht gleich verdammen und komplett von der Gesellschaft ausschließen“, unterstreicht Egg: „Auch wenn sie moralisch sehr schwere Schuld auf sich geladen haben.“
Indem Informationen über die mutmaßlichen Täterinnen verbreitet und ihnen öffentlich gedroht wird, passiert jedoch genau das: Sie werden zu Außenseitern der Gesellschaft deklariert, deren Taten als unverzeihlich gelten – dies lässt kaum Raum für Reue und Wiedergutmachung. Der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Peglow, warnt daher eindringlich davor, Bilder, Namen oder angebliche Social-Media-Profile der mutmaßlichen Täterinnen im Internet zu teilen. „Die Verbreitung von persönlichen Daten oder Bildern mutmaßlicher Beschuldigter durch private Personen in sozialen Medien stellt eine moderne Form der Hexenjagd dar“, so Peglow gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Für Medienrechtlerin Josephine Ballon zeigt sich an dem Fall Luise deutlich, welchen Effekt Soziale Medien haben können. Während die Presse an rechtliche Standards gebunden ist – darunter nicht namentlich über mutmaßliche Täterinnen zu berichten, Persönlichkeitsrechte zu wahren und insbesondere bei Berichten über junge Menschen mit großer Vorsicht vorzugehen –, gilt dies nicht für Soziale Medien.
„In den Sozialen Medien können alle Menschen einfach alles reinschreiben“, kritisiert Ballon in einem Interview mit dem SWR. Unabhängig davon, welche Straftaten die Beschuldigten womöglich begangen haben, seien aber auch Bedrohungen gegen mutmaßliche Tatverdächtige strafbar. Woldemichael sowie viele weitere Medienexpert:innen raten daher: „Think before you post.“ Welchen Zweck hat der Beitrag, wem könnte er schaden und welche möglichen Konsequenzen folgen?
Die Profile der beiden Mädchen auf den sozialen Medien wurden inzwischen gesperrt, wie die Polizei mit Verweis auf deren Persönlichkeitsrechte bestätigt. Es werde zudem laufend geprüft, ob strafrechtlich relevante Beiträge gepostet werden. Die Familien der Mädchen sollen die Stadt Freudenberg gemeinsam mit ihren Kindern verlassen haben, so der Landrat des zuständigen Kreises Siegen-Wittgenstein gegenüber der Siegener Zeitung. Es handle sich dabei nicht um Zwangsmaßnahmen, sondern um eine gemeinsam getroffene Entscheidung. Das Jugendamt sei zudem in den Fall eingebunden worden. (tt)
2023-03-17T14:21:34Z dg43tfdfdgfd