Von außen betrachtet ist Tinian ein tropisches Idyll – mit türkisblauem Wasser und unberührten Stränden. Doch hinter dieser friedlichen Fassade verbirgt sich eine Geschichte, die nun wieder in Bewegung gerät – und zwar im Schatten wachsender Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China.
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Aktuell wird Tinian, Teil des US-Außengebiets der Nördlichen Marianen und Heimat von rund 2000 Menschen, mit fast 800 Millionen US-Dollar umfassend militärisch aufgerüstet. Die Reaktivierung eines alten Flugplatzes sowie die weitere militärische Modernisierung markieren die erste Phase eines Projekts, das nicht nur die Infrastruktur der Insel transformiert, sondern sie auch in eine geopolitische Schlüsselrolle katapultiert.
Denn nur rund 200 Kilometer südlich liegt Guam, Heimat der Andersen Air Force Base und neben Okinawa eine der wichtigsten US-Militärbasen im Westpazifik. Guam sei gefährdet und könnte im Krisenfall „Erstschlagziel“ werden – deshalb plane das US-Militär einen Ausweichflughafen auf Tinian, erklärt Leland Bettis, Direktor des auf Guam ansässigen Thinktanks Pacific Center for Island Security.
Tinians Geschichte ist untrennbar mit dem militärischen Erbe der Vereinigten Staaten verbunden. Die Insel sei „seit langem von strategischer Bedeutung für die Vereinigten Staaten“, sagt Michael Walsh von der US-amerikanischen Denkfabrik Foreign Policy Research Institute, der aktuell als Gastwissenschaftler am Lasky Center for Transatlantic Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität in München forscht. „Tinian war einst der größte Flugplatz der Pazifikinseln.“
Während des Zweiten Weltkrieges nutzte die US-Armee die Insel als Basis für B-29-Bomber, die unter anderem bei den verheerenden Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurden. Von hier startete am 6. August 1945 die „Enola Gay“ mit der ersten Atombombe an Bord.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verfielen die militärischen Anlagen auf Tinian jahrzehntelang – doch nun kehrt die Insel in den strategischen Fokus zurück. Angesichts wachsender sicherheitspolitischer Spannungen im Pazifikraum erlebt der abgelegene Außenposten eine Renaissance. Seit 2022 wird die historische Start- und Landebahn umfassend modernisiert; die Arbeiten sollen noch im Laufe dieses Jahres weitgehend abgeschlossen werden.
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Die Investitionen in die gerade mal 101 Quadratkilometer große Insel sind Teil einer umfassenderen US-Strategie, Washingtons Präsenz in der Region auszubauen. Ein alternatives Rollfeld auf Tinian zu haben, erhöhe die Widerstandsfähigkeit der US-Armee, bestätigt der Experte Walsh. Auch die Lage der Insel sei ein eindeutiger Vorteil. „Tinian befindet sich in unmittelbarer Nähe der größten Rivalen – damals wie heute.“ War im Zweiten Weltkrieg noch Japan der größte Konkurrent im Pazifik, so ist es heute China. Auch Russland und Nordkorea gelten laut Walsh als „nationales Sicherheitsrisiko in der Region“. Sie alle seien „Teil der Achse der Aggression“.
Die Modernisierung Tinians, die noch unter der Regierung von US-Präsident Joe Biden begann, aber auch unter Donald Trump fortgesetzt wird, ist nur der Anfang: Wie der Gouverneur der Nördlichen Marianen, Arnold Palacios, bestätigte, plant das Pentagon bereits ähnliche Projekte auf den Nachbarinseln Rota und Saipan. Laut lokaler Medien sollen dort neue Lagerhallen, erweiterte Rollfelder und bessere Häfen in Planung sein. Der Experte Bettis weiß zudem von ähnlichen US-amerikanischen Projekten auf der Insel Yap, die zu den Föderierten Staaten von Mikronesien gehört.
Doch: Indem die USA das Risiko auf Guam, Tinian und Yap aufteilen, verteilen sie laut dem Experten Bettis auch das Konfliktrisiko auf die jeweiligen Inselbevölkerungen. Im Falle von Guam sei dies in der jüngsten Erklärung von US-Verteidigungsminister Pete Hegseth auch thematisiert worden. „Das Einzige, was nicht erwähnt wurde, waren Vorbereitungen zum Schutz der Zivilbevölkerung“, bemängelt Bettis. Im Gegensatz dazu habe das Kabinettssekretariat der japanischen Regierung am gleichen Tag, an dem Hegseth auf Guam landete, einen Plan zur Evakuierung von 120.000 Menschen aus Okinawa veröffentlicht – für den Fall, dass China in Taiwan einmarschieren sollte.
Was in so einem Ernstfall mit den Menschen auf Guam oder Tinian passieren würde, blieb bisher dagegen unerwähnt. Viele fürchten inzwischen, dass die winzigen Inseln im Falle einer Konfrontation zwischen den USA und China selbst zum Schauplatz werden könnten. „Früher waren wir nur ein winziger Fleck im Meer“, sagte Juanita Mendiola, eine einheimische Frau aus Tinian, vor Kurzem dem australischen Sender ABC. „Jetzt, angesichts der Aktivitäten in ganz Mikronesien und der Zollkriege, befürchten wir, zu einem großen Ziel zu werden.“
2025-05-13T12:04:50Z